Quelle der zärtlichen Zuwendung

eine Erfahrung


Ganz tief im Innern des Menschen verborgen schlummert ein unstillbares Verlangen nach zärtlicher Zuwendung. Verharrt der Mensch im Schweigen und wartet er geduldig ab, wird ihn seine Suche zur Quelle dieser ersehnten zärtlichen Zuwendung führen. Er wird entdecken, dass beide, Mensch und Quelle, wie Blutsverwandte zusammengehören.

Will der Mensch im unruhigen Strom seines dahintreibenden Lebens zur Quelle seiner letzten Sehnsucht gelangen, muss er gegen den Strom schwimmen. Seine eigene Kraft reicht dazu nicht aus. Dennoch wird er im Wesentlichen sein Leben nach dieser Quelle, seinem eigentlichen Ursprung, ausrichten, sobald er sich der Existenz dieser Quelle bewusst ist, auch wenn ihn der Strom seines Lebens noch so flussabwärts treibt. Er weiß jetzt um seine letzte Herkunft und kann dieses Wissen nicht mehr verlieren, ohne zugleich innerlich aus dem Lot zu geraten. Er spürt eine Kraft, die ihn immer wieder neu zur Quelle der zärtlichen Zuwendung zieht. Diese Kraft stammt nicht von ihm selbst. Sie kann sich am Menschen nur festmachen, wenn sich der Mensch dafür öffnet. Er darf sich nicht dagegen sperren, wie sehr ihn dieser Vorgang auch schmerzt.

Den Weg, über den diese Kraft den Menschen zur Quelle zieht, bestimmt die zärtliche Zuwendung in der Quelle, nicht der Mensch. Ist der Mensch mit diesem Weg nicht einverstanden, kann er sich jederzeit aus freien Stücken abkoppeln. Allerdings wird er ein beträchtliches Stück oder gar alles von seiner inneren Mitte einbüßen. Verliert der Mensch seine Mitte ganz, treibt er in haltloser Einsamkeit dem Abgrund der Angst entgegen.

Geeignete Mittel, die dem Menschen helfen, sich nicht gegen diese Kraft zu sperren und ihr keinen Riegel vorzuschieben, sind die vielfältigen Formen von Gebet, Meditation und Liturgie. Die zärtliche Zuwendung in der Quelle verlangt danach, dass der Mensch freiwillig die Pforten von innen entriegelt, damit die Kraft der zärtlichen Zuwendung sie von außen aufschließen kann.

Durch ein aufgeschlossenes, aber nicht entriegeltes Tor hat die Kraft keinen Zugang zum Menschen, außer die geballte Allmacht der Quelle sprengt die Tür. Ob der Mensch das überlebt, bleibt für ihn ungewiss.

Winfried Schley