Pamiers-Bericht

 

Bienvenue! – Oder wo sind die Maultaschen zuhause?

 

Die Vorräte an französischen Süßigkeiten im Regal neigten sich dem Ende zu und schon ahnte man es: es wurde mal wieder Zeit. Zeit auf französische und deutsche Intervention, auf neue Abenteuer im Alltag eines anderen Landes, Zeit auf Pamiers.

Gut, also, dass sich der mittlerweile schon in der 30. Runde befindliche Austausch näherte und die Franzosen sich diesmal auf den Weg in die deutschen Lande machten. Da wurde dann eben noch schnell das Bett oder Zimmer hergerichtet, die letzten Feinschliffe am Plan unternommen, das Vokabular aufgefrischt, ehe die französischen Schüler überpünktlich am Volksfestplatz den Anker lichteten.

Und schon bei der Hinfahrt schien ich zerrissen. Einerseits war da, klar, das zumindest seit einigen Wochen herbeigesehnte Wiedersehen meiner Gwenaëlle, andererseits grauste es mir irgendwo vor dem 24-Stundendienst, den der Job als Gastfamilie so mit sich bringt. Kurzum: Ich ergab mich und stellte mich schon mal seelisch und moralisch darauf ein, dass in der nächsten Woche alles drunter und drüber gehen würde und mit dem gemütlichen Beine ausstrecken auf dem Sofa erst mal Sense sein würde.

Zudem war ich es, die ihr Zimmer zugunsten des Gastes räumen musste und trotz allem Gekreische mütterlicherseits sich nach wie vor weigerte, die nackten Männer noch abzuhängen. Gleichermaßen erleichtert war ich dann auch, als meine Partnerin mich kurz nach ihrer Ankunft in mein Zimmer zog und verkündete, meine Wand sei, nett ausgedrückt, „sehr hübsch“, was mir ein leicht triumphales Grinsen übers Gesicht jagte. Denn, ich kannte, bzw. kenne meine  Französin spätestens seit letztem Jahr recht gut. Unumgänglicher Vorteil.

Der erste Tag, sprich Sonntag, vollzog sich dann im Folgenden ganz gemäß den Vorstellungen der jeweiligen Gastfamilie, was bei mir übersetzt den obligatorischen Kaffeeklatsch im familiären Kreise verhieß. Nun gut, eigentlich wollte ich ausgerechnet das Gwenaëlle ersparen, zumal es weitaus spannenderes gibt, als Frauen in den Wechseljahren bei einem guten Stück Kuchen die Hand zu halten und Problem um Problem, Tratsch um Tratsch mit gutwilliger Miene zu verfolgen. Da ich selbst im letzten Jahr jedoch bei meiner Ankunft am liebsten gleich ins Bettchen gegangen wäre, gab ich mich breitwillig geschlagen und genoss im Endeffekt Kaffee und Bananenkuchen, bis der letzte Gast ausgeschwärmt war und mein Gast und ich den Tag bei einem der schon viel zu lang nicht mehr geführten Gespräche beendeten.

Dass der folgenden Tag damit beginnt, dass wir beide den Bus prompt verpassen, war vorauszusehen. Schon letztes Jahr wurde es gefährlich knapp in der Zeit. Kein Problem allerdings, da sich meine Mutter Urlaub genommen hatte und zwar mürrisch, aber willig ins Auto stieg. Mich erwartete im Gegensatz zu Gwenaëlle jedoch nur normaler Unterricht, da ich lediglich bei ungefähr 70% der Ausflüge mitmachen durfte. So paukte ich mich durch Französisch, Spanisch, Mathe und dergleichen, während meine Partnerin die traditionelle Begrüßungsrede des Herrn Direktor Messerschmidt wohlwollend anhörte und nun schon zum zweiten Mal belehrt wurde, dass Rauchen und Alkohol, pipapo nichts an unserer Schule zu suchen haben. Danach ging es für sie mit mir in den Unterricht, der leider Gottes wie jeden Montag bis in den späten Nachmittag ging und uns beiden somit außer ein paar Blödeleien im Unterricht und einem gemütlichen Abend auf dem Sofa nicht viel Freiraum ließ.

Dienstag befasste sich folgend mit der zweiten obligatorischen Rede, diesmal von dem Herrn Oberbürgermeister Andreas Raab, der die lieben Franzosen im Rathaus empfing. Während also Gwenaelle sich mit der Historie der Relation Pamiers-Frankreich zwangsbeschäftigte und anschließend bei dem traditionellen Jeu de Troc versuchte Deutschen Geizhälsen ein Schnippchen zu schlagen, saß ich wieder wie gewöhnlich in der Schule und kämpfte mit leichten Konzentrationsschwierigkeiten. Gastgeberitis. Da kommt man eben nicht wirklich zur Ruhe und schon gar nicht zu Hausaufgaben.

Der nächste Tag versprach dazu mehr. Ein Highlight war er, der gemeinsame Ausflug der Partner nach München, wobei wohl eher der Name „Frostlight“ passt. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie schaffen es die Franzosen immer wieder, den Winter mitzubringen. Da will man ihnen das sonnige Deutschland zeigen, läuft eine Woche vorher noch ernsthaft im T-Shirt rum und muss dann mit Wintermantel nach München in den Bus steigen. Unglaublich, Wetterkatastrophe. Jedenfalls bestärkten mich meine Zweifel einen schönen Tag zu erleben, je mehr ich mir das Wetter ansah und je mehr mir klar wurde, dass ich eigentlich die Einzige aus meiner Stufe bin, die mitmacht. So stieg ich zweifelzerfressen in den Bus und  zählte zwei Stunden lang Schneeflocken, ehe sich die Metropole ankündigte. Die anschließende Stadtführung war zwar durchaus aufschlussreich, jedoch dominiert von der Kälte, die allen ein Zittern entlockte und den Schneeflocken, die nicht mehr enden wollten. Ein Segen war das Hofbräuhaus, welches wir leider nur kurz zu Gesicht bekamen! Nach kurzem Aufwärmen ging es dann auch wieder weiter zu den Bavaria-Filmstudios, welche den zweiten und letzten Tagespunkt ausmachten und Gott sei Dank einen McDonalds beinhalteten. Nie war ich als Kaffeegourmet glücklicher über einen 1-Euro-Cappuccino, als in diesem Moment! Nach einer mehr oder weniger etwas längeren Pause geschah dann eben noch das vielleicht zu erwartende  Unglück: eine kleine Gruppe von LMG-Schülern hatten zusammen mit Frau Martic den Beginn der Führung buchstäblich verpennt und musste zwangsläufig  bei der späteren ASG-Führung mitlaufen- bei mir hieß das nur falsche Gruppe, Teil 2 (bei der Stadtführung hatte ich mich schon verirrt), heureka. Die zweite Führung bot einen interessanten Einblick in die Filmstudios, der aber leider erneut durch den unaufhörlich auf uns einprasselnden Regen an Schneeflocken fast unmenschliche Bedingungen bat und zumal die meisten der Räume nicht beheizt waren und mindestens oder weniger als Außentemperatur hatten. Kein Wunder also, dass ich und die anderen Mitläufer sichtlich erschöpft zu den anderen in den Bus trottenden und uns gen Heimat machten, den Bus der Franzosen im Nacken. Schon fast fertig mit der Welt, oder wenigstens mit meinen Zehen, welche ich auf seltsame Weise irgendwie nicht mehr richtig spüren konnte, wollte ich nur wieder heim, wurde aber noch höchst unfreiwillig Zeuge eines Notfalls, der sich in unserem Bus abspielte und eine mehr oder wenige lange Verzögerung nach sich zog. Diese endete wiederum damit, dass die restlichen Businsassen allesamt in den französischen Bus erst mehrmals umgefrachtet wurden,  bis wir endgültig die letzten Meter heimwärts zwischen pöbelnden, kurzum streckenweise leicht unangenehmen, überwiegend männlichen Franzosen verbringen mussten, was dem Tag und zumindest mir den Rest gab.

Man könnte jetzt meinen, die Schule hätte Erbarmen und würde uns eine kleine Atempause gönnen, aber nein, wir haben ja unsere Prinzipien. So standen Gwenaëlle und ich pünktlich um sieben(diesmal haben wir den Bus erwischt, ha ha!) auf der Matte und während ich mir das ein oder andere Sekundenschläfchen im Unterricht gönnte, besichtigte sie mit ihrer fast unerschöpflichen Art die Bäckerei Kluding. Anschließend gab ich mir die volle Dröhnung Francais und ging mit ihr und ihren Freunden essen, bis der gemeinsame Nachmittagsunterricht begann, der Gruppenarbeit zwischen den Partnern und eine Auswertung des Jeu de Troc in Form eines Rollenspiels beinhaltete und aufgrund der Müdigkeit der meisten Teilnehmer größtenteils leicht schleppend voranzog. Letztendlich gab es doch einen Sieger und ich war froh, meine Mutter im Auto vor der Schule sitzen zu sehen und mir noch einen gemütlichen Abend machen zu können, ganz nach dem Motto: „Take it easy“.

Dabei hatten meine Mutter und ich uns einen besonderen Punkt für Gwenaëlle ausgedacht und den Tierarzttermin unserer dicken Katze auf diesen Abend gelegt, womit wir ihr wohl eine Freude machten, den im Gegensatz zu den verängstigten Tieren saß sie strahlend im Wartezimmer. Und ich leicht übermüdet daneben, welch toller Anblick.

Freitag beschäftigte daraufhin die Franzosen ziemlich, sprich, sie waren von früh morgens bis um etwa drei Uhr nachmittags bei einer Schlossbesichtigung in Langenburg, was mir im Grunde sehr gelegen kam, da ich Freitagnachmittag zu arbeiten hatte und erst um sechs Feierabend war. In der Zwischenzeit, die ich mir mühsam und mit meiner Gastgeberitis beschäftigt Geld anhäufte, beschäftigte sich meine Mutter mit Gwenaëlle, holte sie ab und zeigte ihr Crailsheim, bis sie mich beide abholen kamen  und wir uns schnurstracks auf den Weg zur traditionellen Abschlussfeier machten und dabei zuerst einmal irrtümlich am ASG standen, bevor wir uns im Foyer des LMG  blicken ließen. Dabei sei gesagt, dass vor allem durch die Tanzlust der französischen Lehrer, sowie durch die Schulband und die ausnahmsweise bei einer Schulfete gut gelaunten deutschen Schüler(welche sich nur über die hip-hoplastige Musik des DJs beschwerten) eine gelungene Abrundung des Ganzen stattfand, die leider mit halb elf(?) als Ende viel zu kurz angelegt war.

Das folgende Wochenende, Krönung des Ganzen, oblag wieder den Gastgebern. In meinem Fall: Stuttgart. Da ich Gwenaëlle schon vorletztes Jahr mehr als das kleine Fleckchen Crailsheim zeigen wollte, es aber krankheitsbedingt nicht hinhaute, stand der Termin felsenfest in der Brandung. Und so tingelten meine Mutter, sie und ich zum Bahnhof, wo wir alle –Oh Freude…- merkten, dass wir nicht die einzigen waren, die auf diese glorreiche Idee gekommen sind und ich mir insgeheim „Verflixt, wir hätten nach Ulm sollen!“ dachte.

Und das wäre vielleicht klüger gewesen: der folgende Streifzug durch die unzähligen Läden Stuttgarts gefiel Gwenaëlle zunehmend weniger, immer weniger Gefallen fand sie an all den bunten Läden, sodass meine Mutter und ich zuerst nur noch Buch- und Souvenirläden ansteuerten und schließlich leicht deprimiert in ein schmuckes Café einkehrten. Dabei ergab sich spontan eine Möglichkeit, noch einen heißen Abend zu verbringen, welche sich weder ich noch meine Französin entgehen lassen wollten und welche uns letztendlich dazu brachte mit einem der früheren Züge heimzufahren, uns schick zu machen und mit Freunden in der Arena Ilshofen vorbeizuschauen und bis spät in die Nacht Spring Break und uns zu feiern. Nur leider bin ich jetzt vielleicht leicht in der Gunst meiner französischen Gastfamilie gesunken? Hmm. Wird sich noch herausstellen.

Jedenfalls begann der darauf folgende Sonntag mit einem sehr langen Ausschlafen, dass sich teilweise bis in die Puppen des späten Nachmittages zog und auf das unwillkürlich ein ausführliches Bad folgte, sprich: Sonntag galt uns und unserer Wellness. Gegen Abend gingen meine Familie, Gwenaëlle und ich noch in ein griechisches Restaurant und beendeten damit den letzten gemeinsamen Tag.

Der letzte Tag war dann auch schon wieder da. Mit einem abschließenden Besuch in der Brauerei und ein paar letzten gemeinsamen Unterrichtseinheiten verabschiedeten sich die Franzosen, wobei ich Gwenaëlle beim Abendessen zuerst einmal klar machen musste, dass sie in einer halben Stunde Abfahrt hat, da die Gute dachte, sie würde erst Dienstag fahren. Nachdem aber in dieser Hinsicht alles klar war und ihr schwerer Koffer wieder im Kofferraum des Autos verstaut war, hieß es kurz vor sieben auf dem Volksfestplatz auch für uns beide wieder Abschied zu nehmen.

Und mit den abfahrenden Bussen ging wohl auch wieder eine Freundin von mir, mit der ich quasi eine Woche lang mein Leben geteilt habe und die mir wirklich ans Herz gewachsen ist.

Nichtsdestotrotz war die erste Reaktion im heimischen Wohnzimmer: Füße auf den Tisch, weit ausgestreckt und ausgeatmet.

Wieder mal was für Frankreich getan.

Melanie Laukemann